Seit 2018 beschäftigt sich die interdisziplinäre und ortsverteilte Forschungsgruppe mit dem sogenannten Krisengefüge der Künste. Dabei wird der Begriff der Krise als Zusammenfassung von endogenen und exogenen Faktoren verstanden, die institutionelle Veränderungen im Theatersystem auslösen. Bei diesen Faktoren handelt es sich sowohl um Diskursphänomene als auch um objektiv zu betrachtende Dysfunktionalitäten, wie beispielsweise schwierige Arbeitsbedingungen an deutschen Stadt- und Staatstheatern. Dabei werden die Krisenfaktoren aus diskursgeschichtlicher, ästhetischer, arbeitswissenschaftlicher und kulturpolitischer Perspektive in den sieben Teilprojekten untersucht. Zugrunde liegt die These, dass Krisendiskurse eine in hohem Maße aktivierende und transformierende und nicht nur eine destabilisierende Wirkung haben. ‚Krise‘ wird innovativ als ein Phänomen verstanden, das sich selbst hervorbringt, indem es beschrieben, zitiert und heraufbeschworen wird. In der ersten Förderphase (2018-2021) stand vorrangig das Forschen nach Gründen und Zusammenhängen bei der Entstehung von Krisen durch institutionsimmanente und endogene Faktoren sowie die Arbeit an zielführenden Methoden und interdisziplinären Herangehensweisen im Vordergrund. In der Fortsetzung der Zusammenarbeit bis 2024 beschäftigt sich die Forschungsgruppe nun zunehmend mit exogenen Faktoren. Mit Beginn der zweiten Förderphase befand sich das deutschsprachige Theatersystem noch weitgehend im Stillstand aufgrund der Corona-Pandemie. Die Auswirkungen dieser massiven globalen Krise auf die darstellenden Künste und ihre Stakeholder bezieht die Forschungsgruppe zusätzlich in ihre Arbeit ein und untersucht sie umfassend in dem teilprojektübergreifenden Projekt Theater nach der Corona-Krise: Auswirkungen und institutioneller Wandel. Die Forschungsgruppe setzt sich des Weiteren zum Ziel, insbesondere die für die Theater- und Musikwissenschaft dringend benötigte Forschungsperspektive einer institutionell orientierten Analyse der darstellenden Künste zu etablieren und langfristig in der Lehre zu verankern.
Ludwig-Maximilians-Universität München
Institut für Theaterwissenschaft
Leitung: Prof. Dr. Christopher Balme
Mitarbeiter: Dr. Sebastian Stauss
Assoziierte Wissenschaftlerin: Katja Meroth, M.A.
Im Teilprojekt wird ein doppelter Fokus auf Musiktheatervermittlung gelegt: Erstens wird sie diskursgeschichtlich bis zu ihren Anfängen auf den Organisationsebenen von Pädagogik und Öffentlichkeitsarbeit an deutschen Opernhäusern zurückverfolgt. Zweitens werden ihre besonderen Methoden und zugrundeliegenden Vorannahmen sichtbar gemacht. Dazu wird das Theoriemodell der „Figur des Dritten“ herangezogen, das sowohl sozialwissenschaftlich eine Rollenbestimmung und Differenzierung dritter Personen und Instanzen als auch kulturtheoretisch die Einordnung von Chancen und Risiken ermöglicht. Konfliktpotential birgt aus der Sicht von Theaterpädagogen z.B. die Ausweitung der musiktheatralen Vermittlungsarbeit auf Strategien des Audience Development, wie auch die aus Massenmedien und Großveranstaltungen (Events) bekannten Adressierungen von Zielgruppen. Diese sind im Teilprojekt ebenfalls Betrachtungsgegenstand, insbesondere als Phänomene der enkulturativen Brüche und einer Abkehr von vormals und werkbasierter Rezeption von Musiktheater. Die Strategien der Musiktheatervermittlung seit den späten 80er und 90er Jahren dienen im Teilprojekt damit auch als ein Gradmesser, inwieweit die Musiktheaterrezeption immer stärker an neuen und neuesten Medien ausgerichtet wird. Zu den Arbeitsschritten des Teilprojektes gehört zunächst, ausgehend von Archivrecherche zu den ersten Vermittlungssparten, eine erstmalige geschichtliche Darstellung der Entwicklung und Formen von Musiktheatervermittlung. In einem Folgeschritt soll das aktuelle Vermittlungsprogramm in vier unterschiedlichen städtischen Betrachtungsräumen produktionsbezogen eingeordnet und analysiert werden. Fokussiert werden dabei einerseits institutionenbezogen neue Vermittlungsformate im Theaterbetrieb und andererseits, standortrelevant, der öffentliche und mediale Rahmen der jeweiligen Vermittlungsprogramme. In einem weiteren Schritt werden die gewonnenen Erkenntnisse zu Figuren des Dritten in der Musiktheatervermittlung auf bereits vorliegende Studien zum Musiktheater-Publikum und zu den enkulturativen Brüchen rückbezogen. Der angestrebte Erkenntnisgewinn besteht im Aufschluss über die Reichweite von Vermittlungsangeboten und ihre Positionen im Wandel gesellschaftlicher und politischer Diskurse zu Kultur und Bildung.
Im Teilprojekt 1 wird ein doppelter Fokus auf Musiktheatervermittlung gelegt: Erstens wird sie diskursgeschichtlich bis zu ihren Anfängen auf den Organisationsebenen von Pädagogik und Öffentlichkeitsarbeit im Musiktheaterbetrieb zurückverfolgt – vor allem im Kontext von Publikums- und Stakeholderkrisen. Im europäischen Vergleich mit der deutschen Staats- und Stadttheaterlandschaft werden Italien und das Vereinigte Königreich betrachtet. Bei allen Unterschieden der regionalen Dichte und Reichweite(n) von Musiktheater wird nach dem Prinzip der Konkordanz untersucht, inwieweit sich gerade durch besondere Kombinationen von Besucher*innenkommunikation und Pädagogik/Education, über den traditionellen Spartenbetrieb hinaus, neue Organisationsformen von Musiktheater herausbilden. Zweitens werden die spezifischen Methoden und zugrundeliegenden Vorannahmen von Vermittlung sichtbar gemacht. Dazu werden die Theoriemodelle der Figur des Dritten und des cultural diamond herangezogen, die sowohl sozialwissenschaftlich eine Rollenbestimmung und Differenzierung dritter Personen und Funktionen als auch eine kulturtheoretische Einordnung ihrer Chancen und Risiken ermöglichen. Vergleichende Fallanalysen werden bezüglich der Ausrichtung und Anbindung von Musiktheatervermittlung an kommunale und regionale Institutionen für die Lombardei/IT und die West Midlands/GB durchgeführt. Dabei werden auch weiter gefasste Netzwerk-Aspekte untersucht, z.B. bezogen auf das internationale Forum RESEO (Réseau européen de sensibilisation à l'opéra). Neben Archiv- und Datenrecherche zu bisherigen Projekten werden mittels Interviews und Umfragen Positionen und Methoden der Vermittlung erfasst und reflektiert. Auch auf das Corona-Querschnittsprojekt der Forschungsgruppe hin werden die Fragestellungen fokussiert: a) Welche Möglichkeiten der Musiktheatervermittlung bestehen, aus einem engeren, kommunalen Organisationsrahmen heraus (trans)regionale Plattformen für Musiktheater zu entwickeln? Und b) Welche Potentiale werden in Italien und im Vereinigten Königreich anders genutzt als in Deutschland? Inwieweit Musikvermittlung durch die Corona-Krise an Dynamik zulegt oder einbüßt, wird im Ländervergleich auch vor dem zeithistorischen Hintergrund unterschiedlich ausgeprägter Ökonomisierung, betrieblicher Deregulierung und kulturpolitischer Evaluierungsmechanismen analysiert.
Universität Hannover
Institut für Interdisziplinäre Arbeitswissenschaft
Universität Hildesheim
Institut für Medien, Theater und Populäre Kultur
Universität Trier
Neuere deutsche Literaturwissenschaft
Leitung: Prof. Dr. Axel Haunschild, Prof. Dr. Jens Roselt und Prof. Dr. Franziska Schößler
Mitarbeit: Silke zum Eschenhoff, M.A., Anja Quickert, M.A. und Mara Ruth Wesemüller, M.A.
Hilfskräfte: Sarah Günther, Thabea Lange
Das Teilprojekt fokussiert die strukturellen Veränderungen in der Freien Theaterszene am Beispiel der beiden Standorte Hannover und Berlin, um die Heterogenisierung von Arbeitsprozessen, die Entwicklung neuer Arbeitsformen, den daraus resultierenden Wandel der Selbstverständnisse der Akteur*innen sowie ihren Umgang mit Krisensemantiken im Zusammenhang mit ihren künstlerischen Produktionsweisen zu untersuchen. Das zu analysierende Arbeitsfeld Freie Theaterszene ist als Teilbereich des Arbeitsmarkts Darstellende Künste ein öffentlich finanzierter Nonprofit-Sektor, der sich über die Merkmale selbstständiger und selbstorganisierter Theaterarbeit vom Arbeitsprofil der befristeten, angestellten Beschäftigungsverhältnisse der städtischen und staatlichen Repertoire-Theater unterscheidet und sich im Wesentlichen projektbezogen – das heißt über die einmalige, öffentliche Förderung eines einzelnen Kunstprojekts – finanziert. Aus dieser grundlegend anderen Arbeits- und Finanzierungsstruktur ergeben sich vielfältige Konsequenzen für die jeweiligen Arbeitsmarkt- Segmente, die Einfluss auf die künstlerische Praxis und das ästhetische Produkt nehmen und Gegenstand der geplanten Untersuchung sind. Beide Arbeitsformen – die freie Theaterarbeit sowie die Arbeit der institutionalisierten Repertoire-Theater – sehen sich gegenwärtig starker öffentlicher Kritik ausgesetzt und sind mit Veränderungen ihrer institutionellen Förderstrukturen konfrontiert. Dieser Trend ist Anlass und Gegenstand von Krisendiskursen. Im Windschatten der Krise traditioneller Kulturförderung werden die flexibleren Produktionsstrukturen der Freien Theaterszene vor allem dann in die Diskussion eingebracht, wenn es darum geht, über eine grundlegende Reform des Theatersystems nachzudenken, nicht zuletzt unter fiskalpolitischem Druck. Denn in den Arbeitszusammenhängen und -weisen freier Theaterschaffender wird ein Zukunftspotenzial vermutet, das mit den Tendenzen flexibilisierter Arbeit in anderen Branchen vergleichbar ist: zum Beispiel durch das kollektive Erarbeiten von Stoffen und Aufführungen mit Risikoverteilung auf die Produzierenden sowie durch das Arbeiten im Netzwerk mit einem Pool von Expert*innen, auf die regelmäßig zurückgegriffen wird. Das Teilprojekt nimmt insgesamt eine komplementäre Analyse der wirtschaftlichen, sozialen und künstlerischen Situation freier Theaterschaffender von 1989 bis heute aus arbeits- und theaterwissenschaftlicher Perspektive anhand einschlägiger Gruppen und Produktionen der Standorte Berlin und Hannover vor. Dem interdisziplinären Ansatz wird dadurch Rechnung getragen, dass theater- und literaturwissenschaftliches sowie institutionentheoretisches und arbeitssoziologisches Wissen verknüpft wird, um u.a. den vielschichtigen Zusammenhang von Produktionsbedingungen und ästhetischen Ausdrucksformen zu untersuchen.
Die freie Theaterszene in Deutschland ist durch eine zunehmende Internationalisierung geprägt, die sich beispielsweise in länderübergreifenden Kooperationen, internationalen Festivals, im Gastspielbetrieb oder in Artist-in-Residence-Programmen widerspiegelt und Eingang in die Bewertungskriterien der Förderinstitutionen gefunden hat. Die erste Teilprojektphase (2018-2021) untersuchte den Zusammenhang zwischen Förderstrukturen, Arbeitsbedingungen und künstlerischer Ästhetik in der Wirkung auf Transformationsdynamiken und Krisendiskurse in der freien Theaterszene. Hieran anknüpfend fokussiert das Teilprojekt in der zweiten Förderphase (2021-2024) Pfade und Auswirkungen der Internationalisierung des Freien Theaters in Deutschland. Die eingenommene Analyseperspektive ist, das Internationale – und damit die Gleichzeitigkeit und Vielfalt von kulturellen, organisationalen, institutionellen und theaterästhetischen Praktiken und Traditionen – im Lokalen zu betrachten. Hierbei wird eine vergleichende Perspektive auf die international gut vernetzte Metropole Berlin und das Flächenland Niedersachsen entworfen. Das Teilprojekt kombiniert dazu eine sozialwissenschaftliche und eine theaterwissenschaftliche Perspektive, um die Wechselbeziehungen zwischen Förderbedingungen, Arbeits- und Kooperationsformen sowie künstlerischen Formaten und Ästhetiken im Kontext der Internationalisierung zu analysieren. Internationalisierung wird hierbei einerseits empirisch als Dynamisierungsprozess verstanden, der die Marktbedingungen, Arbeitsweisen und Ästhetiken freier Theatergruppen verändert, und andererseits als ein selbst der Legitimierung bedürfendes, diskursives Phänomen konzeptualisiert. Diese vielschichtigen Zusammenhänge untersucht das Teilprojekt auf der Basis qualitativer Interviews, Probenuntersuchungen und theaterwissenschaftlicher Aufführungsanalysen. Einen Fokus der Analyse bilden (unter Bezugnahme auf den sogenannten Spatial Turn in der Organisationsforschung) die grundlegenden Veränderungen, die tradierte Kooperations- und Aufführungsräume durch die Internationalisierung und durch die während der Corona-Pandemie noch einmal verstärkte Digitalisierung erfahren. Die Zielsetzung des Projektes wird entlang der folgenden vier Untersuchungsfelder konkretisiert: (1) Förderpolitik und Internationalisierung, (2) Arbeits- und Produktionsbedingungen, (3) Räume der internationalen Kooperation und Einfluss der Digitalisierung und (4) Ästhetik(en) internationalisierter Theaterproduktionen. Die Untersuchungsfelder dienen dabei ausschließlich als analytische Trennung, um die Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen Förderpolitik, Arbeitsbedingungen, Räumen und Ästhetik zu untersuchen.
Universität Hildesheim
Institut für Kulturpolitik
Leitung: Prof. Dr. Birgit Mandel
Mitarbeit: Charlotte Burghardt, M.A., Moritz Steinhauer, M.A., Maria Nesemann, M.A.
Hilfskraft: Vera Glaser
Das Teilprojekt untersucht diskursanalytisch und empirisch, inwiefern die öffentlichen Stadt- und Staatstheater aus Sicht der kulturpolitischen Fachöffentlichkeit und der Theaterschaffenden sich „in der Krise befinden“, welche Krisenursachen sie ggf. ausmachen, in welchem Zusammenhang dies mit der veränderten Kulturnachfrage in einer veränderten Bevölkerung steht, welche Anpassungs- und Innovationsstrategien die Theater wählen und wie sich dies in der Perspektive des Publikums und der Nicht-Besucher/innen widerspiegelt. In einer Diskursanalyse werden die zentralen Argumente des kulturpolitischen und theaterpolitischen Fachdiskurses zu den Ansprüche und Erwartungen an öffentliche Theater in Bezug auf Publikum bzw. Bevölkerung ermittelt. In einer repräsentativen Befragung von Dramaturg/innen und Leitungen an deutschen Stadt- und Staatstheatern sollen Erkenntnisse darüber gewonnen werden, ob und auf welche Weise sich Leitziele, Strukturen, Inhalte und Strategien der Theater im Umgang mit dem Publikum aufgrund veränderter Kulturnachfrage und aufgrund veränderter kulturpolitischer Ansprüche weiterentwickeln. Die Perspektive der Bevölkerung auf Theater soll durch eine repräsentative Befragung an einem Theaterstandort ermittelt werden. Die Themen der Befragung sind die kulturellen Interessen, die Nutzung kultureller Angebote und insbesondere des Theaters, die Wahrnehmung des Theaters in seinen Programmen und Kommunikationsweisen sowie Meinungen zu den Aufgaben von öffentlichen Theatern. In Fallstudien an vier ausgewählten Theatern soll die Angebots- und Nachfrage-Situation vertieft analysiert werden. Im Februar 2020 wurde die Publikation Theater in der Legitimationskrise? Interesse, Nutzung und Einstellungen zu den staatlich geförderten Theatern in Deutschland – eine repräsentative Bevölkerungsbefragung von Prof. Dr. Birgit Mandel unter der Mitarbeit von Moritz Steinhauer veröffentlicht: zum Nachlesen hier verfügbar.
Das vorangegangene Teilprojekt des Instituts für Kulturpolitik der Universität Hildesheim in der Forschungsgruppe befasste sich mit den Anpassungs- und Innovationsstrategien von öffentlich geförderten Theatern in Deutschland im Zusammenhang mit dem Strukturwandel der Kulturnachfrage. Die Fragestellung des nun daran anschließenden Folgeprojekts knüpft daran an, ist jedoch thematisch enger fokussiert und erweitert zugleich die Perspektive durch einen internationalen Vergleich. Untersucht werden soll, inwieweit und mit welchen Strategien öffentlich getragene Theater in Deutschland, Frankreich und England durch die pro-aktive Gewinnung bislang unterrepräsentierter Bevölkerungsgruppen versuchen, den Risiken einer De-Legitimation öffentlicher Förderung aufgrund von nachlassenden Besucherzahlen und eines sozial ungleich verteilten Zugangs entgegenzuwirken. Unter Teilhabe wird hier eine chancengerechte Ermöglichung von Theaterbesuchen mit Abbau institutioneller und persönlicher Barrieren als Aufgabe sowohl von Kulturpolitik als auch von öffentlich geförderten Kulturorganisationen verstanden. Ausgangshypothese ist, dass die jeweiligen Regime von Theater Governance eine prägende Wirkung auf die Audience Development-Strategien der Theater entfalten. Um dieser Hypothese nachgehen zu können, ist die Studie als Vergleich von möglichst unterschiedlichen Governance-Regimen angelegt: Im markt-liberal orientierten Governance-Regime von England ist eine begrenzte öffentliche Förderung von Theatern in der Regel direkt an die Gewinnung unterrepräsentierter Zielgruppen gebunden. Im etatistisch ausgerichteten Regime von Theater Governance in Frankreich bildet die in der Verfassung verankerte Norm einer Démocratisation de la Culture ein zentrales Ziel der öffentlichen Förderung von Theatern. In dem von Dezentralität und staatlicher Zurückhaltung geprägten Governance-Regime in Deutschland überlassen die Kommunen und Bundesländer den von ihnen geförderten Stadt- und Staatstheatern in der Regel einen weitreichenden Entscheidungsspielraum bei der Gestaltung ihrer Publikumsstrategien.
Ludwig-Maximilians-Universität München
Institut für Theaterwissenschaft
Leitung:Dr. Bianca Michaels
Mitarbeit: Lukas Stempel, M.A., Angelika Endres, M.A.
Hilfskraft: Alessa Maria Karešin
„Unsere Kunst- und Kulturinstitutionen sind allesamt das Ergebnis einer künstlerischen Praxis vergangener Jahrhunderte; und unsere Theater-, Opern-, Konzert-Häuser sind in Stein gehauene Strukturen“ (Goebbels 2013). Starre Strukturen, Reformunfähigkeit und Inflexibilität werden insbesondere in den öffentlich getragenen Stadt- und Staatstheatern dafür verantwortlich gemacht, dass die Theater zunehmend Schwierigkeiten haben, ihre Existenz und die damit einhergehenden ökonomischen Belastungen für die jeweiligen Träger zu legitimieren. Trotz dieser im öffentlichen Diskurs allgegenwärtig erscheinenden Erstarrung der Stadt- und Staatstheater sind innerhalb der vergangenen 15 Jahre in der Spielplangestaltung der Häuser bereits quantitativ signifikante Veränderungen zu beobachten: Während die Anzahl der Veranstaltungen bei den Neuinszenierungen im Bereich Schauspiel keine auffälligen Schwankungen festzustellen sind, verzeichnet der Deutsche Bühnenverein in seiner jährlich erscheinenden Theaterstatistik an anderer Stelle signifikante Veränderungen: Allein die Gesamtsumme der Veranstaltungen der sogenannten „fünften Sparte“ hat sich in den vergangenen 15 Jahren verdreifacht. Es handelt sich bei den dort zusammengefassten Veranstaltungen um verschiedene Formen wie beispielsweise szenische Lesungen, Performances, Konzerte, Workshops etc. Darüber hinaus sind zahlreiche neue Formen im Programmangebot zu verzeichnen, wie z.B. weitreichende Kulturvermittlungsangebote, partizipative Projekte und ortsspezifische Stückentwicklungen. Während die ökonomischen Krisendiskurse allgegenwärtig sind, die darunterliegenden Legitimationsdefizite zumindest ansatzweise im Blick der Diskussion sichtbar sind, bleibt ein anderer Aspekt der Krisendimension im öffentlichen Diskurs wie auch in der bisherigen Forschung bislang vernachlässigt: das Spannungsfeld aus ererbten und noch immer existierenden Funktionszuschreibungen des öffentlich getragenen Theaters, aktuellen gesellschafts- und kulturpolitischen Anforderungen an eine öffentlich getragene Institution in einer demokratischen Gesellschaft angesichts des gesellschaftlichen und demographischen Wandels, neuen Förderlogiken und der aktuellen ästhetischen Praxis. Aus diesem Spannungsfeld - so die Prämisse des Teilprojekts - resultiert eine fundamentale und als krisenhaft zu beschreibende Verunsicherung gegenüber dem Theater als öffentlich getragener Institution in Bezug auf ihre gesellschaftlichen Funktionen und ihre Bedeutung - sowohl hinsichtlich des Selbstverständnisses der Theaterakteure wie auch in der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Dem Projekt liegt die Annahme zugrunde, dass im Zuge der aktuellen gesellschaftlichen und (kultur-)politischen Transformationsprozesse die öffentlich getragenen Theater mit einem steigenden Anpassungsdruck konfrontiert sind und die neu entstehenden Formen vor dem Hintergrund dieses Anpassungsdrucks zu untersuchen sind. Die in diesem Teilprojekt zu untersuchenden Formen können einerseits als Bewältigungsstrategien der Theater in einer als krisenhaft wahrgenommenen Situation betrachtet werden, sowie andererseits als Faktoren, welche insbesondere das oben genannte Spannungsfeld zwischen Theater als Institution bürgerlicher Selbstvergewisserung und Theater als städtischer Plattform mit einer zunehmenden programmatischen Öffnung weiter verschärfen und die gegenwärtigen Transformationsprozesse beschleunigen. Ausgehend davon setzt sich das Teilprojekt zum Ziel, die Frage zu untersuchen, warum besonders in den vergangenen 15 Jahren die Anzahl neuer Formen zunimmt, wie die Formen zu klassifizieren sind und ob bzw. inwiefern diese auch die Strukturen von Theater als Institution verändern. Die Veränderungen – so die Ausgangsthese - können nicht nur als pragmatische Reaktion auf aktuelle kulturpolitische Anreizsysteme, temporäre Modeerscheinungen oder als Symptom einer ökonomischen und/oder kulturpolitischen Krisensituation zahlreicher öffentlich getragenen Theater betrachtet werden, sondern richten zugleich den Blick auf das Stadttheater als Institution und einen gerade sich vollziehenden Wandel derselben.
In den letzten 20 Jahren treten in den Spielplänen öffentlich getragener Theater vermehrt neue Theaterformen und -formate auf wie etwa Kulturvermittlungsangebote, partizipative Projekte und ortsspezifische Stückentwicklungen. Im Teilprojekt 4 (Von Bürgerbühnen und Stadtprojekten — Neu-Formatierung als Symptom des institutionellen Wandels im gegenwärtigen deutschen Stadt- und Staatstheater) wurde während der ersten Förderphase (2018-2021) erforscht, ob bzw. inwiefern diese Formate nicht nur den Spielplan einzelner Theaterorganisationen verändern, sondern wie diese aus einer Makroperspektive zugleich als Symptom oder sogar Motor einer grundlegenden Transformation auf institutioneller Ebene betrachtet werden können. Im Rahmen der qualitativen und quantitativen Analysen konnte eine Zunahme dieser Formate und eine Diversifizierung der Spielplangestaltung festgestellt werden. Zudem zeigte sich, dass der fachöffentliche Diskurs hinsichtlich der Themen Partizipation und Laien auf der Bühne seit Beginn der 2000er Jahre kontinuierlich an Bedeutung und Kontur gewonnen hat. Die Theater positionieren sich in ihren neu entwickelten Formen und Formaten – insbesondere im Rahmen von partizipativen Projekten – nicht nur als Organisationen der Produktion und Rezeption von Kunst in Form von Aufführungsereignissen in den verschiedenen Sparten, sondern auch als öffentliche Orte. An diesen rücken über die Produktion und Rezeption von Kunst hinaus zunehmend sozialer Austausch, Begegnungen und auch Hilfeleistungen in den Fokus. Die untersuchten Formen und Formate stellen gesellschaftliche Praxis nicht nur dar, sondern machen deutlich, inwiefern Theater selbst eine Form gesellschaftlicher Praxis ist. Mit Auftreten der Covid19-Pandemie und der temporären Theaterschließungen zum Ziel des Infektionsschutzes lassen sich seit März 2020 kurz- bis mittelfristig sehr abrupte institutionelle Transformationsprozesse in der Spielplangestaltung öffentlich getragener Theater beobachten. Vor dem Hintergrund der erhobenen Ergebnisse der ersten Projektphase zur ästhetischen Neu-Formatierung unter weitgehend analogen Bedingungen werden in der zweiten Förderphase die Auswirkungen der pandemiebedingten Theaterschließungen auf die Angebote der öffentlich getragenen Spielstätten in Deutschland, Großbritannien und der Schweiz untersucht. Während einige Theater den Spielbetrieb vorübergehend komplett einstellten, boten andere bestehende, teils interne Mitschnitte von früheren Aufführungen als Stream bzw. Video-on-Demand an. Neue Angebote, die unter den Pandemie-bedingten Vorgaben zum Social Distancing eigens für die medialen Bedingungen der Distribution über das Internet produziert wurden, nahmen Einzug in den Spielplan. Darüber hinaus wurden und werden neue Aufführungskonzepte mit räumlichen Veränderungen des Zuschauerraums und mit wenig(er) Akteur*innen auf der Bühne entwickelt. Dieser äußerst dynamische Prozess anhand der Entwicklung der digitalen und analogen Theaterangebote seit März 2020 sowie der drei folgenden Spielzeiten bis 2022/23 wird anhand von drei Untersuchungskategorien dokumentiert und analysiert: (A) Ästhetische Neu-Formatierung und Spielplangestaltung (B) Medientheoretische Kontextualisierung (C)Auswirkungen auf Theater als Institution Eine Ausgangsthese lautet, dass die digitalen Formate, welche die Künstler*innen zu Beginn der Pandemie z.T. aus ihren heimischen Wohnzimmern weitgehend in Eigenregie produzieren und im Laufe der Zeit zunehmend an Professionalität gewinnen, trotz der völlig unvergleichbaren Produktionsweise unmittelbar anschließen an die in der ersten Förderphase untersuchten neuen Formen und Formate, die sich in den vergangenen 20 Jahren an deutschen Stadt- und Staatstheatern etabliert haben. Das pandemiebedingte Proben- und Aufführungsverbot bringt nicht nur zahlreiche neue Formen hervor, Künstler*innen und die hier vornehmlich untersuchten öffentlich getragenen Theater stellen mit ihren digitalen Produktionen das Diktum der physischen Kopräsenz als grundlegender Bedingung von Theater in ihrer Praxis infrage. Darüber hinaus sollen für das Forschungsfeld der ästhetischen Neu-Formatierung während und nach der Corona-Pandemie ebenso regulative und normative Strukturen wie auch kulturell-kognitive Handlungsmuster analysiert und auf Basis der erhobenen Daten in Relation zueinander gesetzt werden. Ziel ist hierbei die Antwort auf die Frage nach den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Theater als Institution, insbesondere hinsichtlich der Erwartungsstrukturen an das Theater und an seine künstlerischen Angebote.
Universität Bayreuth
Forschungsinstitut für Musiktheater
Leitung: Prof. Dr. Anno Mungen
Mitarbeit: Dr. Ulrike Hartung
Die bemerkenswerte und im internationalen Vergleich immer wieder bewunderte künstlerische Vielfalt der deutschsprachigen Theater- und Orchesterlandschaft bewegt sich zunehmend in einem Spannungsfeld zwischen eben dieser Bewunderung und einer tiefen Verunsicherung. Man spricht regelrecht von einer Krise. Das Forschungsprojekt als Teil der Forschungsgruppe Krisengefüge der Künste: Institutionelle Transformationsdynamiken in den darstellenden Künsten der Gegenwart betrachtet die Aufführungspraxis von Musiktheater in seiner spezifischen Ausprägung im deutschsprachigen Raum innerhalb seines vielbeschworenen Krisendiskurses. Die Intensität mit der dieser im Zusammenhang mit Musiktheater geführt wird, ist besonders groß, da es sich traditionell um eine der aufwendigsten und teuersten Formen darstellender Kunst handelt, die in ihren Produktionsmöglichkeiten zwar hochspezialisiert, aber in ihren Möglichkeiten künstlerischer Ausdrucksformen beschränkt ist. Ihre angenommene Krise wird in Zeiten knapper Kassen, aber auch von postmodernem Nebeneinander, Formenvielfalt und transmedialer Flexibilität dementsprechend scharf debattiert. Anhand von zwei scheinbar gegensätzlichen Positionen will das Projekt dem Einfluss des Krisendiskurses auf das Musiktheater als auch seinem Umgang damit im Spannungsfeld von Musealisierung und neuen Formaten nachgehen. Zum einen betrachtet das Teilprojekt neue ästhetische Formate von Musiktheater, die als Reaktion auf diesen Krisendiskurs ihr kreatives Potenzial aus diesem ziehen, die sich aber gleichzeitig aufgrund der veränderten Anforderungen an ihre Produktionsprozesse als inkompatibel mit dem etablierten Opernbetrieb zeigen und sich deshalb in Aufführungsräumen außerhalb dieses Betriebs ansiedeln. Zum anderen betrachtet das Projekt den Apparat eines regulären Opernbetriebs, der sich mit diesem Krisendiskurs gleichermaßen konfrontiert sieht, der aber aufgrund seiner größenbedingten Schwerfälligkeit und in vielerlei Hinsicht starken Reguliertheit nicht auf diese neuen Formate selbst produzierend reagieren kann.
Im Bestreben, ästhetische und institutionelle Transformationsdynamiken zeitgenössischer Musiktheaterpraxis zu verstehen, ergibt sich nach der Untersuchung institutioneller Transformationsprozesse von öffentlich getragenem Musiktheater in Deutschland, die das Teilprojekt in der ersten Förderphase vorgenommen hat, die Frage nach Musiktheater außerhalb dieser Betriebe. Anlass dafür ist eine vermehrte Gründung freier Theatergruppen, die sich dezidiert musikalischen Formaten darstellender Kunst widmen. Während etablierte Opernbetriebe mit weitreichenden Legitimationsproblemen und damit mit Tendenzen zur De-Institutionalisierung zu kämpfen haben, ist eine Tendenz zur Verfestigung und Verstetigung von institutionellen Strukturen von Musiktheater außerhalb der öffentlich getragenen Musiktheaterbühnen zu beobachten. Diese Züge der zunehmenden Legitimierung und der Institutionalisierung, die auf eine wachsende Bedeutung dieser Formate innerhalb der darstellenden Künste schließen lässt, erfolgt gleichermaßen von außen wie von innen. Hiervon zeugen zahlreiche Initiativen der Akteur*innen selbst, aber auch die Tendenzen kulturpolitischer Förderinstrumente, über reine Projektförderung hinaus Formate der Strukturförderung zu entwickeln. Unter Berücksichtigung der europäischen Verflechtungen des Freien Musiktheaters sowie seiner alternativen Konzepte von Körper, Stimme und Geschlecht stellt das Projekt die Frage nach der Entwicklung einer spezifischen Kultur des Freien Musiktheaters, die sich in seinen ästhetischen Konzepten und musiktheaterpraktischen Arbeitsweisen, aber eben auch in seinen institutionellen Strukturen und Entwicklungen spiegelt.
Justus-Liebig-Universität Gießen
Institut für Angewandte Theaterwissenschaft
Leitung: Prof. Dr. Gerald Siegmund
Mitarbeit: Benjamin Hoesch, M.A.
Hilfskraft: Hannah Helbig
Festivals für junge Theaterschaffende in oder kurz nach der Ausbildung sind eine organisationelle und zugleich ästhetische Praxis, die in den vergangenen Jahren Konjunktur bekommen hat. Die Entwicklung von Nachwuchsfestivals als Produktions- und Präsentationsform verhält sich damit gegen die Erwartung von Stagnation und Rezession in aktuellen Krisendiskursen des Theaters. Nachwuchsfestivals zeigen meist einmal jährlich über einen Zeitraum von mehreren Tagen in räumlicher und zeitlicher Verdichtung Theaterarbeiten, die von jungen KünstlerInnen verantwortet werden. Seit dem Jahr 2000 ist allein im deutschsprachigen Raum eine zweistellige Anzahl entsprechender Festivals institutionalisiert worden, an denen oft gerade renommierte Stadt- und Staatstheater sowie Häuser der Freien Szene beteiligt sind. Das Teilprojekt betrachtet die Häufung solcher Nachwuchsfestivals seit Beginn der Nuller Jahre als Symptom für Veränderungen in der deutschsprachigen Theaterlandschaft. Das Symptom Nachwuchsfestival kann dabei aus zwei Perspektiven betrachtet werden: Für die veranstaltenden Organisationen generieren die Festivals öffentliche Aufmerksamkeit und machen die Rekrutierung von künftigem Personal transparent. Sie tragen damit zur Eventisierung des Theaterbetriebs bei und aktivieren mit der Nachwuchsförderung einen Legitimationsmythos, wie er auch in anderen gesellschaftlichen Institutionen wie Unterhaltung, Musik, Sport oder Wissenschaft wirkt. Für die jungen KünstlerInnen organisieren solche Festivals den Einstieg ins Berufsleben. Sie dienen in diesem Rahmen der Erprobung von neuen Ästhetiken, die die KünstlerInnen auf dem Markt sichtbar machen und als Marke etablieren sollen. Aus beiden Perspektiven heraus ergeben sich paradoxe Verflechtungen mit dem institutionalisierten Theaterbetrieb, der ex negativo als Bezugspunkt stets erhalten bleibt. Denn die veranstaltenden Theaterhäuser nutzen die Festivals, um sich gegenüber ästhetischen und personellen Beharrungstendenzen des Theaters als aufgeschlossen für zeitgemäße Ästhetiken und progressive Produktionsweisen zu zeigen. Die jungen KünstlerInnen nutzen die Festivals ihrerseits, um sich als unabhängig von vermeintlich veralteten Strukturen des Literaturtheaterbetriebs zu präsentieren. Sie erproben eigenständige, den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen Rechnung tragende Produktionsweisen und Kommunikationsstile, die neue Medien in ihre Arbeit ebenso einbeziehen wie sie die Grenzen zu anderen Kunstgattungen sowie zur Populärkultur überschreiten. In diesem Spannungsfeld kristallisiert sich eine Wahrnehmung der aktuellen Theatersituation in Bezug auf die Ausbildung, die Arbeitsbedingungen und die daraus resultierenden Stücke sowie deren Präsentationsmodi als eine krisenhafte heraus. Die Krise des Stadttheaters erweist sich in ästhetischer Hinsicht als äußerst produktiv. Aus dem auffälligen Befund der Konjunktur eines Typus‘ des Organisationsmodells Theaterfestival simultan zu Krisenentwicklungen der Darstellenden Künste ergeben sich für das Teilprojekt die folgenden Ausgangsfragen:
In einem komplementären Fokus zur Untersuchung des Nachwuchsfeldes in der ersten Förderperiode wird das organisationale Feld der Ausbildung zur Regie und vergleichbarer Studiengänge deutschland- und europaweit untersucht. Das Krisengefüge der Künste schlägt sich auch hier in einem erheblichen institutionellen Wandel nieder, der die Ausbildungsorganisationen selbst vor Legitimationsverlust bewahrt und zugleich neue Strategien zur Professionalisierung von Absolvent*innen erzwingt. Damit verbunden sind sowohl neue Unterrichtsmethoden als auch ein grundlegender Wandel dessen, was man unter Regie überhaupt verstehen kann. Ausbildungsgänge reagieren auf die institutionellen Transformationen des Theaters und wollen diese zugleich offensiv mitgestalten. Das Nachwuchsfeld wird so zum institutionellen Experimentierraum, insbesondere hinsichtlich einer verstärkten Internationalisierung. Im Fokus der Untersuchung stehen deshalb zum einen der Vergleich von drei deutschsprachigen Studiengängen zur Regieausbildung (Hamburg, Gießen, Bochum), die signifikante Beiträge zum Wandel der Institution geleistet haben. Daran anschließend sollen diese mit ihren internationalen Alternativen, insbesondere dem DasArts-Programm der Theaterschool Amsterdam, verglichen werden. Zum anderen rücken die Dynamiken der Internationalisierung von Ausbildungsgängen selbst als zunehmende Verflechtung und gegenseitige Beeinflussung über Landesgrenzen hinweg ins Blickfeld. Untersucht wird hier das Programm zweier internationaler Nachwuchsfestivals (Setkání/Encounter in Brno/Tschechien und Fast Forward in Dresden). Das Teilprojekt rückt die folgenden institutionellen Transformationen im organisationalen Feld der Ausbildung in den Fokus: Vom Regietheater zum Autor*innentheater: Die spätestens seit den 1970er Jahren dominante Theaterform des Regietheaters weicht überraschend rasant einem Paradigma, das gelegentlich als Autor*innentheater beschrieben wurde. Mit Nachdruck auf die eigene Autor*innenschaft setzend, nutzen Theaterschaffende Kombinationen aus Eigen- und Fremdtexten unterschiedlichster Herkunft und Qualität oder beginnen ihre Arbeit gar nicht mehr mit einer dramatischen Textvorlage. Kollektivierung und Flexibilisierung: Die Infragestellung der Regieposition beschränkt sich nicht nur auf das Verhältnis zum Text, sondern betrifft auch ihre Stellung in einem Arbeitszusammenhang, der zunehmend kollektiv, mit flachen Hierarchien und flexibler Aufgabenteilung organisiert wird.Arbeitsperspektiven und Unternehmer*innentum: Das Engagement am Stadt- oder Staatstheater ist nicht mehr die einzige Perspektive, an der Studierende für sich arbeiten. Längst setzen viele nicht allein auf ihre künstlerische Ausbildung, sondern bereiten sich mit vielfältigen Tätigkeiten wie Festivalorganisation, Verbandsarbeit und Produktionsleitung, aber auch mit kreativen Aufgaben als DJs, Video Cutter oder Web Designer*innen auf ein weitgefächertes selbstständiges Betätigungsfeld vor – als Arbeitskraftunternehmer*innen bzw. Unternehmer*innen ihrer Selbst. Pandemie-Folgen und Digitalisierung der Ausbildung (Beitrag zum Corona-Querschnittsprojekt): Durch die ökonomischen und legitimatorischen Folgen der Pandemiebekämpfung für den Kulturbetrieb dürfte der Berufseintritt für junge Künstler*innen zusätzlich erschwert sein, sodass im Nachwuchsfeld kurz- und mittelfristig erhebliche soziale Härten zu befürchten sind. Gleichzeitig wurden in der Ausbildung im Zuge eines erzwungenen Digitalisierungssprungs zahlreiche neue Lehrformate und Kompetenzen entwickelt. Erforscht wird, ob diese auch nach Aufhebung der Beschränkungen Bestandteil der Ausbildung bleiben und inwieweit sie womöglich neue Ästhetiken und erweiterte Tätigkeitsfelder für Absolvent*innen schaffen.
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Institut für Politikwissenschaft
Leitung: Prof. Dr. Annette Zimmer und Dr. Eckhard Priller
Mitarbeit: Dr. Johannes Crückeberg, Lara Althoff, M.A., Jonas Marggraf, M.A., Rike-Kristin Baca Duque, M.A., Svea Nübel, M.A.
Hilfskraft: Hanna Guthke
Zielsetzungen des Projektes sind die Analyse der Einbettung ausgewählter Stadttheater in das lokale Umfeld und in die kommunale Kulturpolitik und die empirische Untersuchung der Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse des Personals der Theater in Kunst (Musik, Oper, Tanz, Sprechtheater), Verwaltung, Vermittlung und Technik. Ausgegangen wird von einer Interdependenz zwischen dem Umfeld der Häuser und den Beschäftigungsverhältnissen am Theater. Danach haben Tradition und Kultur der jeweiligen Institution Stadttheater im Verbund mit der Ausgestaltung des betreffenden „organizational fields“, des lokalen und kommunalen Umfeldes der untersuchten Bühne, implizit und explizit Einfluss auf die Beschäftigungsverhältnisse sowie die Karrierechancen des Personals des betreffenden Theaters. Im Mittelpunkt der empirischen Untersuchung steht eine Befragung aller an den sechs bzw. sieben kooperierenden Theatern Beschäftigten (Vollerhebung). Die Befragung wird durch eine qualitative Untersuchung des Kontextes und kommunalen Umfeldes der Theater und ihrer jeweiligen institutionellen Prägung vorbereitet. Die Ergebnisse der Umfeldanalyse sowie der Befragung werden ergänzt durch biographische Interviews mit auswählten Probanden des Personals in Kunst, Verwaltung und Technik. Die Untersuchung ist vergleichend angelegt. Näher in den Blick genommen werden Stadttheater in Kommunen von etwa vergleichbarer Größe und ähnlicher Bevölkerungsstruktur in den neuen Bundesländern und Nordrhein-Westfalen. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Feminisierung des Theaterpersonals kommt der Analyse der Arbeitssituation sowie der Karrieremöglichkeiten der weiblichen Beschäftigten ein besonderer Stellenwert zu. Methodologisch ist die Studie angelehnt an den historischen Neo-Institutionalismus. Die institutionelle Prägung bezieht sich auf:
Das auf drei Jahre befristete Projekt Was für ein Theater? hat die komparative Analyse der Cultural und Corporate Governance der öffentlich getragenen Theater in den DACH-Ländern (Deutschland, Österreich, deutschsprachige Schweiz) unter besonderer Berücksichtigung von Gendergerechtigkeit für die weiblichen Theaterschaffenden zum Ziel. Was für ein Theater knüpft an die erste Projektphase und die Analyse der Folgen des Krisengefüges (kulturelle, finanzielle und legitimatorische Krise) für Stadttheater in der Provinz und insbesondere für die Beschäftigungs- und Arbeitsverhältnisse am Theater einschließlich der Leitungsebene an. Empirisch soll im Nachfolgeprojekt untersucht werden, ob die Delegitimation des Theaters primär Stadttheater betrifft und insofern standort- sowie ressourcenbezogen ist, oder aber Theater generell und damit auch in Landesstädten und Metropolen sowie im europäischen Ausland mit einer legitimatorischen Krise konfrontiert sind. Zudem sollen die Folgen der Verwaltungsreform bzw. die Veränderung der kulturpolitischen Steuerung (Cultural Governance) der Theater in den DACH-Ländern erfasst sowie untersucht werden, wie sich diese auf die Leitung und das Management der Häuser (Corporate Governance) auswirken. Rekurriert wird auf einen Methodenmix von Policy-Analyse, Befragung und Case Studies. Die kulturpolitischen Legitimationsmuster werden pro Land diskursanalytisch auf Grundlage von Sekundärliteratur, Dokumentanalyse sowie Expert*inneninterviews (Kulturschaffende, kulturpolitische Akteur*innen) ermittelt und analysiert. Aus verwaltungswissenschaftlicher Perspektive werden die Rechts- und Organisationsformen der Theater sowie der Einsatz von New Public Managementinstrumenten mittels einer teil-standardisierten Befragung auf Ebene der Geschäftsführung der Theater erfasst. Case Studies eines Samples von Theatern werden zur Untersuchung der Corporate Governance (Leitungs- und Führungsstrukturen, Profil- und Programmgestaltung, Gendergerechtigkeit) durchgeführt. Neben der Landes- und Kantonszugehörigkeit und der jeweils spezifischen Cultural Governance stehen für das Sampling als weitere Auswahlkriterien die Tradition bzw. historische Entwicklung sowie der Spartenmix des betreffenden Hauses im Fokus. Da die Oper gemäß den Umfragen die stärksten Besucher*innenrückgänge zu verzeichnen hat und gleichzeitig die kostenintensivste Darstellungsform darstellt, wird auf diese Sparte ein besonderes Augenmerk gerichtet. Beim Sampling werden entweder Mehrspartenhäuser oder aber sog. Theaterholdings mit Opernbeteiligung besonders berücksichtigt.
Leitung: Prof. Dr. Christopher Balme
Mitarbeit: Dr. Thomas Fabian Eder
Die Corona-Krise stellt den Kulturbereich vor große Herausforderungen. Institutionentheoretisch handelt es sich bei der gegenwärtigen Situation um einen exogenen Schock, der die durch Pfadabhängigkeit bedingte starke Beharrungskraft des Theaters aufbrechen und zu institutionellen Veränderungen führen kann. Die Auswirkungen der Krise werden unter Bezugnahme auf die folgenden Forschungsfelder durch das Projekt Theater nach der Corona-Krise: Auswirkungen und institutioneller Wandel untersucht. Heterogenisierung der Arbeit: Am offensichtlichsten manifestiert sich die Krise durch ökonomische Einbußen. Die Prekarität der Arbeitsbedingungen in den darstellenden Künsten wird potenziert. Extrem betroffen ist die Freie Szene, aber auch freischaffende Künstler*innen an öffentlichen Theatern verlieren ihre Beschäftigungsmöglichkeiten. Die ohnehin bereits thematisierten Unzulänglichkeiten theatraler Beschäftigungsverhältnisse erhalten nun also noch mehr Unterstützung und könnten zu einer Polarisierung der Arbeitsbeziehungen an öffentlichen Theatern führen. (De-)Legitimation: Die emphatisch proklamierte Präsenzästhetik (Fischer-Lichte 2004) als Bedingung für die darstellenden Künste erweist sich als Risikofaktor für die Verbreitung von Viren. Davon ist zum einen das Prinzip der Mobilität infrage gestellt. Zum anderen stellt sich die Frage nach dem Lokalitätsprinzip als dominantem Legitimationsargument für das dichte Netz an Kultureinrichtungen in Deutschland. Durch die plötzliche Verfügbarkeit von Online-Angeboten könnten neue Diskussionen dazu aufflammen, ob die kulturelle Daseinsvorsorge vielleicht nicht doch anders organisiert werden soll. Governance: Ökonom*innen scheinen sich einig, dass eine tiefe Rezession unvermeidbar ist. Als Folgeerscheinung der gestiegenen Verschuldung sind Budgetkürzungen und Umstrukturierungen im Kultursektor zu erwarten. Die Governance-Perspektive erlaubt eine präzise Beobachtung der Wechselbeziehung zwischen makro- und mikroökonomischen Faktoren bei der Neujustierung der Theaterarbeit nach der Krise. Da alle Länder gleichermaßen von der Krise betroffen sind, lässt sich beobachten, ob es sowohl im deutschlandweiten wie auch im europäischen Vergleich zu isomorphen Angleichungstendenzen kommt, indem Systeme voneinander lernen. Ästhetisch: Neben der erwähnten Problematik der Ko-Präsenz soll untersucht werden, ob ästhetische Tendenzen, die sich vor der Krise durchsetzten, fortgeschrieben werden, sich verstärken oder abschwächen. Es könnte sowohl zu einer Rückbesinnung auf das Althergebrachte als auch zur Freisetzung von reformatorischer Energie kommen. Von besonderem Interesse ist der Umzug ins Internet, der bislang augenfälligsten ästhetischen Reaktion auf die Pandemie. Internationalisierung: Einreisestopps gehören weltweit zu den am frühesten verhängten Anordnungen. Die internationalisierte Theaterproduktion kommt so nicht nur zum plötzlichen Erliegen, sondern muss auch aller Planbarkeitsperspektiven entbehren. Trotzdem ist der komparative Blick in andere Länder und Regionen zentraler Bestandteil des aktuellen Krisendiskurses: Die Strategien zur Wiederaufnahme des Spielbetriebs oder zur Nothilfe sollen international verglichen werden. Zudem wird untersucht, mit welchen organisationalen Praktiken die Internationalisierung zwischen nationalen Theatersystemen aufrechterhalten oder wieder aufgenommen wird. Das vorgesehene Arbeitsprogramm der Teilprojekte bietet das Gerüst, mit dem man dieses neue Krisenphänomen erfassen und untersuchen kann. Die oben beschrieben Forschungsfelder bilden die Grundlage für ein Forschungsdesign, bestehend aus einer modular konzipierten Umfrage, die den Teilprojekten an die Hand gegeben und an ausgewählten Theatern umgesetzt wird.